Linie 1

Entlang der Strecke – Folge 4

Publiziert am: 30. Januar 2023
Eine Illustration zeigt ein älteres Paar. Die Frau telefoniert, der Mann schreibt Notizen nieder.

Auf Schleichwegen umzu

Das Telefon klingelt. Natürlich erkenne ich schon am Klingeln, wer dran ist: meine Eltern. Und ich weiß auch schon, wie der erste Satz lauten wird: „Hallo Tochter. Du weißt ja, dass sich deine Mutter wahnsinnig darauf freut, mit der Linie 1 direkt in die Innenstadt fahren zu können. Damit sie nicht ungeduldig wird, fahren wir bis dahin den Streckenverlauf mit dem Rad ab.” Meine Mutter ruft aus dem Hintergrund: „Heute sind wir auch wieder ein Stück gefahren.“ Mein Vater seufzt: „…aber so richtig weit sind wir nicht gekommen. Du kennst ja deine Mutter: Sie trifft immer jemanden, mit dem sie reden kann. Diesmal …

… „diesmal“, unterbricht meine Mutter früher als sonst, „sind wir gar nicht entlang der Linie 1 gefahren. Wir mussten zu Reha Huchting, das ist ja an der Linie 8, Haltestelle Dovemoor.“ Ich bin kurz sprachlos und beeindruckt, denn die Linie 8 war bisher noch kein Thema. „Wir wollten einen Termin machen und als wir unsere Fahrräder anschließen, kommt eine Frau aus dem Gebäude, bleibt stehen und seufzt tief.“ „Deine Mutter“, höre ich meinen Vater aus dem Hintergund, „hat die Frau natürlich gleich angesprochen.“ „Das ist doch klar“, entgegnet meine Mutter, „Auf mich hat sie den Eindruck gemacht, dass es ihr nicht gutgeht. Da biete ich doch meine Hilfe an.“ „Und, was war los?“, frage ich. „Ihr graute davor, mit dem Auto zu fahren. Das konnte ich gut nachvollziehen, denn es fährt sich gerade wirklich nicht gut. Alles so eng. Der Straßenbelag ist außerdem so holperig und der Fußgängerüberweg Delfter Straße, der ist richtig übel. Ich bin auch manchmal ganz schön genervt, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin.“ Das habe ich von meiner Mutter tatsächlich nicht erwartet: Normalerweise lässt sie nichts auf den Straßenbahnausbau kommen. Und Kritik beantwortet sie sonst leidenschaftlich mit Gegenargumenten. Diesmal allerdings scheinen die Baumaßnahmen selbst an ihrer Geduld zu nagen. Aber dann höre ich meinen Vater: „Sie wäre nicht deine Mutter, wenn sie nicht für die arme Frau einen Tipp hätte.“ „Genau!“, bestätigt meine Mutter selbstbewusst. „Ich habe ihr vorgeschlagen, dass – wenn sie denn mit dem Auto fahren muss – über die Den Haager und Delfter Straße fahren kann. Das macht den Rückweg nicht besser, aber den Hinweg deutlich kürzer. Ansonsten geht es mit dem Fahrrad natürlich am besten bis die Straßenbahn fährt. So, jetzt wollen wir zum Sport.“

„Wir rufen wieder an. Mach’s gut.“